Mit dem Herzen Jesu im Heiligen Geist leben

Von der heiligen Katharina von Siena (1347 – 1380) berichtet ihr Beichtvater, der Dominikanertheologe und spätere Generalmagister des Ordens Raimund von Capua, ein merkwürdiges Ereignis, das auch von den Zeitgenossen, ja von Katharina selbst, als überraschend empfunden wurde, welches aber doch eine tiefe Wahrheit der Gnade Gottes in ihr zum Ausdruck brachte:
Jesus "entflammte in ihrem Herzen ein solches Feuer der Liebe, dass sie, die dieses göttliche Wirken in sich erlebte, ihrem Beichtvater gestand, sie fände einfach kein Wort, um auszudrücken, was sie empfinde.
Als sie einmal aus tiefster Seele wie der Prophet gebetet hatte: ‚Erschaffe mir ein reines Herz, o Gott, und gib mir einen neuen, beständigen Geist’ (Ps. 50,12), und als sie ganz besonders darum bat, der Herr möge das eigene Herz und den Eigenwillen von ihr nehmen, tröstete er sie mit folgender Vision: Es schien ihr, dass der ewige Bräutigam in der gewohnten Weise auf sie zutrat, ihre linke Seite öffnete, ihr Herz herausnahm und wieder wegging, so dass sie ganz ohne Herz zurückblieb. Diese Vision war so deutlich und ihrem körperlichen Empfinden so entsprechend, dass sie bei der Beichte zu ihrem Beichtvater sagte, sie habe kein Herz im Leib. Darüber musste er lachen, und zugleich tadelte er sie auch ein wenig. Caterina aber wiederholte, was sie gesagt hatte, sie blieb bei ihrer Behauptung und versicherte: ‚Gewiss, mein Vater, nach meinem körperlichen Empfinden und soviel ich spüren kann, glaube ich fest, kein Herz mehr zu haben; der Herr ist mir nämlich erschienen, hat meine linke Seite geöffnet und mir das Herz herausgenommen; dann ist er wieder weggegangen.’ Als ihr der Beichtvater erklärte, es sei völlig unmöglich, dass sie ohne Herz leben könne, versicherte die Jungfrau des Herrn, dass bei Gott nichts unmöglich sei; sie glaube fest, dass ihr das Herz genommen sei, und so wiederholte sie mehrere Tage hindurch immer wieder, sie lebe ohne Herz.
Eines Tages hielt sich Caterina in der Kapelle der Kirche der Predigerbrüder von Siena auf, wo sich gewöhnlich die erwähnten Schwestern von der Buße des heiligen Dominikus zum Gottesdienst zusammenfanden. Anschließend war sie allein betend zurückgeblieben. Als sie schließlich aus der Tiefe ihrer gewohnten Entrückung erwachte und nach Hause gehen wollte, umstrahlte sie plötzlich ein Licht vom Himmel. In diesem Glanz erschien ihr der Herr; er trug in seinen heiligen Händen ein menschliches, purpurn glänzendes Herz. Zitternd vor der Erscheinung des Schöpfers und des Lichtes fiel sie zu Boden. Der Herr näherte sich ihr, öffnete zum zweiten Mal ihre linke Seite und legte das Herz, das er in seinen Händen trug, hinein. Er sprach: ‚Meine vielgeliebte Tochter, wie Ich dir neulich dein Herz genommen habe, so übergebe Ich dir jetzt Mein Herz, mit dem du fortan leben sollst.’ Nach diesen Worten verschloss er fest die offene Wunde, die er ihrem Körper zugefügt hatte. Als Zeichen des Wunders blieb an jener Stelle ein vernarbtes Mal zurück. Ihre Mitschwestern versicherten mir und vielen anderen wiederholt, diese Narbe gesehen zu haben, und als ich sie selbst eindringlich darüber befragte, konnte sie den Tausch nicht leugnen und erklärte mit Nachdruck, dass es so gewesen sei. Sie fügte hinzu, dass sie seit dieser Stunde niemals mehr wie bisher sagen konnte: ‚Herr, ich empfehle dir mein Herz an.’
Auf solch gnadenvolle wie wunderbare Art hatte sie also dieses Herz empfangen, und aus der Fülle dieser Gnade entsprangen nach außen überaus lobwürdige Taten, im Inneren aber erlebte sie die wunderbarsten Enthüllungen. Niemals trat sie nämlich an den heiligen Altar, ohne dass ihr vieles gezeigt wurde, was über die Sinne ging, vor allem wenn sie die Kommunion empfing … Immer aber entfaltete sich beim Anblick oder beim Empfang des Altarssakramentes in ihrem Herzen eine neue und unsagbare Wonne, so dass ihr Herz oft vor Freude im Leibe hüpfte und einen Laut hervorrief, der so hell und klingend war, dass die umstehenden Mitschwestern es ganz deutlich hörten … Dieser Klang oder Laut war keinem anderen Laut ähnlich, der auf natürliche Weise im Menschenkörper vernommen werden kann. Vielmehr verwies er gerade durch seine Einzigartigkeit auf etwas, was außerhalb der Natur war oder besser sie überragte, indem er die Kraft des Schöpfers deutlich machte. Und es war nicht zu verwundern, wenn das übernatürlich geschenkte Herz sich auf übernatürliche Weise bewegte, denn auch der Prophet sagt: ‚Mein Herz und mein Leib jauchzen (das heißt hüpfen) ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott’ (Vgl. Ps. 84,3.) Der Prophet sagt ausdrücklich dem lebendigen Gott, weil jenes Hüpfen oder jene Bewegung des Herzens vom Leben verursacht wird und den Menschen, der dies erleidet, nicht wie es sonst dem natürlichen Gesetz entspräche, tot, sondern lebendig macht.
Im übrigen glaubte sie, nach dem wunderbaren Tausch des Herzens in gewisser Weise nicht mehr die zu sein, die sie gewesen war. Darum sagte sie zu Fra Tommaso, ihrem Beichtvater: ‚Seht Ihr nicht, Vater, dass ich nicht mehr diejenige bin, die ich war, sondern in eine andere Person verwandelt worden bin?’ Und sie fügte hinzu: ‚O mein Vater, wenn Ihr nur wüsstet, was ich empfinde! Ich bin überzeugt: Wenn jemand wüsste, was ich im Inneren fühle, könnte er nicht so hart sein, dass er nicht weich würde, und nicht so stolz, dass er sich nicht erniedrigte; aber was immer ich sage, es ist alles nichts im Vergleich zu dem, was ich verspüre.’ Sie erklärte es jedoch, so sie es vermochte, und sagte: ‚Mein Herz erfüllt eine so große Freude, ein solcher Jubel, dass ich nur aufs höchste erstaunt bin, wie meine Seele im Leib ausharren kann.’ Und sie setzte fort: ‚Die Glut in meiner Seele ist so groß, dass mir das äußere, natürliche Feuer im Vergleich dazu eher erfrischend als versengend, eher kalt als flammend erscheint.’ Sie sagte ferner: ‚Aus dieser Glut erwächst in meinem Herzen eine Art Erneuerung der Reinheit und Demut, so dass ich das Gefühl habe, wieder in ein Alter von vier oder fünf Jahren zurückgekehrt zu sein. Und andererseits entbrennt eine so große Nächstenliebe, dass ich mit ganzer Freude und Wonne im Herzen für jeden Nächsten gern den leiblichen Tod auf mich nehme würde’“ (Raimund von Capua, Die Legenda Maior. Das Leben der hl. Catarina von Siena, Übers. Josef Schwarzbauer, Verlag St. Josef, Kleinhain 2006, S. 239ff.).
So merkwürdig diese Worte klingen, so gut sind sie durch die damaligen Augenzeugen verbürgt, ebenso auch die Narben, die nach der Einsetzung des neuen Herzens zurückgeblieben sind, wie die Mitschwestern bezeugten.
Hier wird ein Geheimnis angesprochen, welches aber nicht nur Katharina betrifft, sondern uns alle: Wir alle sollen unser Herz im Heiligen Geist erneuern lassen, der es bei würdigem Empfang der Sakramente auch umwandeln kann, so dass es immer weniger unser eigenes bleibt, dafür aber immer mehr ein Herz wird, das in und für Jesus lebt, ja das dem Herzen Jesu immer gleichförmiger wird!
Wie es ja auch schon im Alten Testament verheißen war, ohne dass jemand sich vorstellen konnte, in welcher wunderbaren und tiefgreifenden Weise sich dies erfüllen würde: „Ich verleihe ihnen ein neues Herz und lege einen neuen Geist in ihr Inneres; ich entferne das steinerne Herz aus ihrem Leib und gebe ihnen ein Herz aus Fleisch“ (Ez. 11,19). „Dann sprenge ich über euch reines Wasser, damit ihr gereinigt werdet; von all euren Unreinheiten und von all euren Götzen will ich euch reinigen. Ich gebe euch ein neues Herz und lege neuen Geist in eure Brust; ich entferne das Herz aus Stein aus eurem Leib und gebe euch ein Herz aus Fleisch“ (Ez. 36,25f.).
Unsere durch die Sünde verhärteten Herzen sollen durch die Gnade Jesu umgewandelt werden und an Seinem Leben Anteil erhalten. Jesu Herz soll in uns schlagen und Jesu Liebe unser Herz bestimmen. Wir sollen im Herzen Jesu mitfühlen mit der Not der anderen, besonders der übernatürlichen. Mit dem Herzen Jesu sollen wir sehen, hören und handeln. Unser Herz soll ganz in Sein Herz umgestaltet werden, so dass wir mit dem Apostel Paulus sagen können: „Ich bin mit Christus gekreuzigt. Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir!“ (Gal. 2,20).
„Dazu ist das Wort Gottes Mensch geworden und der Sohn Gottes zum Menschensohn, damit der Mensch das Wort in sich aufnehme und an Kindesstatt angenommen, zum Sohn Gottes werde“ (hl. Irenäus, haer.3,19,1). „Weil uns der eingeborene Sohn Gottes Anteil an Seiner Gottheit geben wollte, nahm Er unsere Natur an, wurde Mensch, um die Menschen göttlich zu machen“ (Thomas v. A., opusc. 57 in festo Corp. Chr. 1).
Hierin besteht die geheimnisvolle Größe des Christseins, welche uns durch die Gnade Gottes geschenkt wird: Wir sollen „der göttlichen Natur teilhaftig werden und dem Verderben entfliehen“ (2Petr.1,6). Die Kirchenväter und Kirchenlehrer, besonders der hl. Athanasius (296 – 373) haben immer wieder mit großem Nachdruck auf diese unsere tiefste Berufung hingewiesen, um gegen die damaligen Irrlehren zu zeigen, dass ein bloßer Mensch uns nicht aus unserer menschlichen und sündigen Not hätte herausholen können: Gott selbst wollte Mensch werden, „damit wir vergöttlicht werden“ (Athanasius, De inc. 54,3), damit wir Anteil an Seiner Göttlichkeit gewinnen und damit erst die tiefste Liebesvereinigung mit Gott erfahren zu können!
Dies ist aber nicht möglich durch unsere eigene Kraft! Nur der Heilige Geist kann dieses Wunder wirken! Wie die ersten Jünger brauchen auch wir den Heiligen Geist, damit wir Jesu Wort verstehen, damit wir reden können wie Jesus, handeln können wie Er, uns hingeben können wie Er!
Bleiben wir in Jesus Christus, täglich und in jedem Augenblick! Bitten wir den Heiligen Geist, dass er unsere Herzen dem Herzen Jesu gleichförmig mache und nach Seinem Bilde umgestalte! Nur wenn die Menschen in unserem Handeln, Reden und Tun das Herz Jesu erkennen können, werden sie es auch lieben und verstehen und durch Seinen Geist sich selbst wunderbar verwandeln lassen!
Ein altes Gebet drückt diese Wahrheit wunderbar aus:
„Denk’ Du in mir, o Jesus, dann denk’ ich licht und klar!
Sprich Du aus mir, o Jesus, dann sprech’ ich mild und wahr.
Wirk’ Du durch mich, o Jesus, gerecht ist dann mein Tun,
geheiligt meine Arbeit, geheiligt auch mein Ruh’n!
Erfüll’ mein ganzes Wesen, durchdring’ mein ganzes Sein,
dass man aus mir kann lesen die große Liebe Dein.
Mach’, dass ich hier auf Erden durch Deiner Gnad’ Gewalt
kann allen alles werden! Komm, werd’ in mir Gestalt! Amen.“
Maria und alle Engel und Heiligen mögen uns diese Gnade der wahren Gleichförmigkeit unseres Herzens mit dem Herzen Jesu im Heiligen Geist erbitten!

Thomas Ehrenberger

 

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